Das zunehmende Wissen um die Entstehung von Krebserkrankungen sowie um die Rolle einzelner Gene und Genmutationen hat in den vergangenen Jahren zur Entwicklung personalisierter und zielgerichteter Krebstherapien beigetragen. Dies bedeutet unter anderem:
Ob zielgerichtete Krebstherapien im individuellen Fall infrage kommen, kann zum Beispiel davon abhängen, ob bestimmte Genveränderungen (Genmutationen) oder Umlagerungen von Chromosomenabschnitten (Translokationen) nachweisbar sind. Es gibt mittlerweile viele verschiedene zielgerichtete Behandlungen, beispielsweise:
• Die Behandlung von PatientInnen mit Darmkrebs (Kolonkarzinom), bei denen Mutationen der Gene RAS und BRAF von besonderem Interesse sind. Liegt keine Veränderung der Gene vor, ist neben der Chemotherapie eine Behandlung mit sogenannten Anti-EGFR-Antikörpern möglich.
• Die Behandlung von PatientInnen mit Lungenkrebs (Bronchialkarzinom), bei denen sogenannte EGFR-Mutationen, ALK-Translokationen oder ROS1-Translokationen nachweisbar sind. In diesem Fall können unterschiedliche Tyrosinkinase-Hemmer (Tyrosinkinase-Inhibitoren) eine Behandlungsoption sein.
• Die Behandlung von PatientInnen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, Brustkrebs, Eierstockkrebs oder Prostatakrebs, bei denen bestimmte Genveränderungen wie beispielsweise eine BRCA-Mutation nachgewiesen werden kann. In diesem Fall können sogenannte PARP-Hemmer zum Einsatz kommen.
• Gestern: Lange Zeit standen für die Krebstherapie nur wenige Arzneimittel zur Verfügung. Fast alle PatientInnen mit einer Krebsart erhielten die gleiche Therapie – jedoch mit unterschiedlichem Erfolg. Es war noch unklar, warum die Medikamente bei einer Person wirkten und bei einer anderen nicht.
• Heute: ForscherInnen verstehen die Prozesse immer besser, durch die Krebs auf genetischer und molekularer Ebene entsteht. Diese Erkenntnisse machen eine individualisierte Behandlung möglich. Tests auf Genmutationen und ihre Folgen tragen einen wesentlichen Teil zu dieser Entwicklung bei: Sie können Auskunft über Entstehung und mögliche Schwachstellen der Krebszellen geben.
• Morgen: Moderne Technologien ermöglichen eine noch genauere Analyse von Krebserkrankungen sowie von ihren individuellen Merkmalen. Zusammen mit einem tieferen Verständnis von
molekularbiologischen Zusammenhängen können so zukünftig noch passgenauere Therapien entwickelt und angewendet werden.
Die zielgerichtete Krebstherapie macht sich die individuellen Schwachstellen von Tumoren zunutze. Eine solche Schwachstelle kann zum Beispiel ein durch eine Genmutation bedingter Funktionsfehler bei der Reparatur von DNA-Schäden sein.
Derartige Funktionsfehler der DNA-Reparatur
• können einerseits zur Entstehung von Krebs beitragen,
• können andererseits aber auch gezielt genutzt werden, um in Krebszellen eine massive Anhäufung von DNA-Schäden zu verursachen. Diese führen schließlich zur Zerstörung der Krebszellen.
Auch in Tumorzellen kommt es täglich zu DNA-Schäden, die repariert werden müssen. Liegen Mutationen von Genen vor, die für die sogenannte homologe Rekombinationsreparatur (HRR) zuständig sind, können Doppelstrangbrüche nicht mehr fehlerfrei behoben werden. Man spricht von einer HRD, einer homologen Rekombinationsdefizienz. Zu den HRR-Genen zählen beispielsweise CHEK2-, RAD51-, ATM- oder die BRCA-Gene.
Tumore, bei denen eine HRD oder speziell eine BRCA-Mutation nachweisbar ist, können unter bestimmten Voraussetzungen mit speziellen Medikamenten behandelt werden. Diese sollen die anderen Reparaturmechanismen der Zelle zusätzlich stören – und somit dafür sorgen, dass die Krebszelle abstirbt.
Ob eine solche Behandlung infrage kommt, kann ein Test auf Genmutationen und ihre Folgen verraten. Einige Tests geben direkt Auskunft darüber, ob ausgewählte HRR-Gene – wie beispielsweise die BRCA-Gene – von einer Genmutation betroffen sind. Andere Tests gehen darüber hinaus und können eine HRD anhand von Schäden im Erbgut (sogenannten genomischen Narben) und bestimmten Mustern von genomischer Instabilität nachweisen.
Ein Gentest kann jedoch nicht nur für PatientInnen sinnvoll sein. Gesunden Ratsuchenden mit familiärer Vorbelastung kann er darüber Auskunft geben, ob bei ihnen eine Genmutation und damit ein erhöhtes Krankheitsrisiko vorliegt.
Ein prominentes Beispiel ist die Schauspielerin Angelina Jolie: Bei ihr wurde eine sogenannte BRCA-Mutation nachgewiesen. Diese kann bei Frauen und Männern unter anderem das individuelle Risiko für Krebsarten wie beispielsweise Brustkrebs, Darmkrebs, Magenkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs erhöhen, außerdem für Eierstockkrebs bei Frauen und Prostatakrebs bei Männern. Angelina Jolie hat daraufhin medizinische Maßnahmen ergriffen, um ihr Risiko, an Krebs zu erkranken, zu reduzieren.
Quellen:
Bundesministerium für Bildung und Forschung. [https://www.bmbf.de/de/krebsforschung---eine-investition-fuer-das-leben-10814.html], letzter Zugriff 16.09.2020.
Deutsches Krebsforschungszentrum. Krebsinformationsdienst. [https://www.krebsinformationsdienst.de/service/iblatt/iblatt-tumor-genomsequenzierung.pdf], letzter Zugriff 16.09.2020.
Deutsche Krebsgesellschaft. Internet-Onkoportal. [https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/basis-informationen-krebs-allgemeine-informationen/erblicher-brustkrebs-wenn-der-k.html], letzter Zugriff 16.09.2020.
[https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/lungenkrebs/therapie/therapioe-nichtkleinzelliger-lungenkarzinome-nsclc.html], letzter Zugriff 26.11.2020.
S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom. [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-007OLl_S3_Kolorektales-Karzinom-KRK_2019-01.pdf], letzter Zugriff 26.11.2020.
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