Genetische Veränderungen können ursächlich für die Krebsentstehung sein. Das Wissen um verschiedene Genmutationen sowie deren mögliche Folgen trägt nicht nur zum grundlegenden Verständnis der Erkrankung bei. Vielmehr lassen sich so auch mögliche Schwachstellen der Krebszellen identifizieren, die eine zielgerichtete Therapie ermöglichen.
Um Schäden ihres Erbguts beheben zu können, sind Zellen auf unterschiedliche DNA-Reparaturmechanismen angewiesen. Einer dieser Mechanismen ist die homologe Rekombinationsreparatur, kurz HRR. Sie dient dazu, Doppelstrangbrüche fehlerfrei zu reparieren. An diesem Vorgang sind zahlreiche Eiweiße (Proteine) beteiligt, die nach einem in Form von Genen vorliegenden „Bauplan“ gebildet werden.
Eine Genmutation in einem Gen oder in mehreren beteiligten Genen – beispielsweise in den BRCA-Genen – kann dazu führen, dass die homologe Rekombinationsreparatur nicht mehr durchgeführt werden kann. Man spricht in diesem Fall von einer homologen Rekombinationsdefizienz, kurz HRD.
Kommt eine HRD in einer Zelle vor, kann dies weitreichende Folgen haben:
• Doppelstrangbrüche können nicht mehr ausreichend repariert werden.
• Es häufen sich in der betroffenen Zelle mehr und mehr Schäden an der DNA an.
• Größere strukturelle Veränderungen von Chromosomen können die Folge sein. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von genomischer Instabilität oder genomischen Narben – einem Hauptmerkmal von vielen Krebszellen.
• Die Zelle kann sich auf diese Weise zur Tumorzelle entwickeln.
Es gibt jedoch auch eine gute Nachricht: Obwohl die homologe Rekombinationsdefizienz die Krebsentstehung begünstigt, bietet sie unter bestimmten Voraussetzungen gleichzeitig einen Ansatzpunkt, Krebszellen gezielt zu bekämpfen. Denn auch Tumorzellen sind darauf angewiesen, anfallende DNA-Schäden reparieren zu können. Liegt ein Defekt in der DNA-Reparatur vor, ist die Reparatur von Doppelstrangbrüchen nur noch sehr eingeschränkt möglich – diese Schwachstelle lässt sich bei der Behandlung nutzen.
Zellen – gesunde Zellen ebenso wie auch Krebszellen – können bei einem Ausfall der homologen Rekombinationsreparatur (HRR) auf einen alternativen Mechanismus zur Reparatur von Doppelstrangbrüchen zurückgreifen. Dieser ist jedoch im Vergleich zur HRR deutlich fehleranfälliger.
Das machen sich moderne Krebstherapien zunutze. Ihr Ziel ist, dass sich in der Krebszelle so viele Schäden anhäufen, dass die Zelle nicht mehr lebensfähig ist und es zum Zelltod (Apoptose) kommt.
Eine Möglichkeit, auf diese Art das Absterben von Krebszellen zu bewirken, besteht darin, zusätzlich die Reparatur von DNA-Einzelstrangbrüchen zu stören. Infolge nicht reparierter Einzelstrangbrüche kann es vermehrt zu Doppelstrangbrüchen kommen. Da Krebszellen, bei denen die HRR gestört ist, diese Doppelstrangbrüche nicht reparieren können, wird das Genom instabil – die Krebszellen sterben ab.
Ein Nachweis einer Genmutation kann anhand unterschiedlicher Tests erfolgen. Am verbreitetsten sind aktuell die beiden folgenden Testverfahren:
BRCA-Test: auf der Suche nach Ursachen
HRD-Test: auf der Suche nach Auswirkungen
• Das Erbgut kann auf charakteristische Schäden und Muster untersucht werden, die sich als Folge der homologen Rekombinationsdefizienz in den Tumorzellen ergeben – sogenannte genomische Narben beziehungsweise genomische Instabilität. Ein solcher zusätzlicher HRD-Test sucht daher nicht nur nach einer BRCA-Mutation als einer möglichen Ursache der HRD. Er
kann zudem auch die Auswirkungen von Zellen mit Defekten in der DNA-Reparatur erkennen, die zu einer genomischen Instabilität führen können. Bildlich gesprochen: Ein beschädigter Wagen zählt zu den sichtbaren Auswirkungen eines Autounfalls – das entspricht den genomischen Narben. Die Ursache des Unfalls, beispielsweise eine defekte Bremse oder schlechtes Wetter, lässt sich mit der BRCA-Mutation als Ursache der HRD vergleichen.